Bio(r)evolution der Ernährung. Was wir morgen (noch) essen werden.
Wie können künftig angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung zehn Milliarden Menschen innerhalb der Belastungsgrenzen unseres Planeten ernährt werden? Was bedeutet das für unsere Ernährung? Was werden wir morgen essen? Und wie müssen wir unsere Ernährung ändern?

Fast die Hälfte der derzeitigen Nahrungsmittelproduktion ist schädlich für unseren Planeten. Sie führt zum Verlust biologischer Vielfalt, setzt den Ökosystemen zu und verschärft die Wasserknappheit. Eine angemessene und gesunde Ernährung für jeden Menschen bei weitgehend intakter Biosphäre, so das Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, erfordert eine Kehrtwende. Unser Speiseplan wird sich ändern (müssen).

Wir haben verschiedene Innovationsfelder beleuchtet und Innovateur:innen dazu befragt.

Quelle: PIK, https://www.pik-potsdam.de/de/aktuelles/nachrichten/die-welt-ernaehren-ohne-den-planeten-zu-schaedigen-ist-moeglich (Zugriff am 10.05.2021).

Eating Insects
Insekten – Proteinquelle der Zukunft?
Folke Dammann
Gründer und Geschäftsführer von Snack-Insects, Autor von Kochbüchern
Einige Startups haben es sich zur Aufgabe gemacht, Insekten auf den Speiseplan zu bringen und zukunftsgerechte Ernährungsgewohnheiten zu gestalten. Nach Einschätzung der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) sind Insekten ein Superfood für eine nährstoffreiche Zusammensetzung.

Eines dieser Startups ist Snack-Insects. Snack-Insects verkauft Speise-Insekten und daraus gefertigte Produkte wie die Dschungelmade, Schokolade mit Insekten, und den Bug-Break-Insektenriegel. Derzeit werden in Europa überwiegend vier Insektenarten für den Verzehr produziert: Heuschrecken, Grillen, Mehl- und Buffalowürmer. Diese Speiseinsekten ermöglichen eine Vielzahl an Zubereitungsarten und können sowohl als einfacher Snack, als exotische Kochzutat oder als süße Variante mit Schokolade oder Karamell zubereitet werden.
Quelle: FAO (2013): Edible insects. Future prospects for food and feed security. http://www.fao.org/3/i3253e/i3253e.pdf (Zugriff am 07.06.2021).
Wenn Insekten überall auf der Welt verzehrt werden und die Produktion nachhaltiger ist als die von herkömmlichem Fleisch, warum sollen wir sie nicht auch nutzen?
- Folke Dammann, Gründer und Geschäftsführer von Snack-Insects
Food-2-X
Neue Materialien aus Lebensmittel-abfällen
Philipp Silbernagel
CEO und Gründer von Wisefood
Laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) landen weltweit rund 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel pro Jahr im Müll. Dies entspricht fast einem Drittel des aktuellen Nahrungsmittelverbrauchs. Rund zwölf Millionen Tonnen Lebensmittel werden in Deutschland jedes Jahr entlang der Lebensmittelversorgungskette als Abfall entsorgt.

Wie könnte die Lebensmittelverschwendung verringert werden? Dazu gibt es viele neue Ideen, Geschäftsmodelle und Startups. Re-/Upcycling von Lebensmittelabfällen umfasst ein breites Spektrum an Innovationen, die sich mit der Weiterverwendung von Lebensmittelabfällen zu neuen Produkten befassen. Die erzeugten Produkte reichen von Schuhsohlen aus alten Kaugummis über 3D-gedruckte Becher aus Orangenschalen und der Verarbeitung von Kaffeesatz zu Turnschuhen bis hin zu Bio-Plastik aus Fischabfällen und Biomasseabfällen als Alternativmaterial zur Herstellung von Verpackungen und Wegwerfartikeln, die bisher aus fossilbasierten Kunststoffen erzeugt werden.

Ein Unternehmen aus diesem Innovationsbereich ist Wisewood, ein Food-Tech aus Deutschland mit Sitz in Garching bei München. Wisefood entwickelt und vertreibt essbare und nachhaltige Einweg-Alternativen. Hergestellt werden die Produkte aus Biomasseabfällen, u.a. aus Apfelfasern, einem Nebenprodukt aus der Apfelsaftproduktion.
Der Mensch muss sowieso essen und Nahrungsmittel konsumieren. Und dementsprechend kann ich ja einen gewissen Teil von meinem Energiebedarf dann auch über den Trinkhalm einfach konsumieren."
- Phlipp Silbernagel, CEO und Gründer von Wisefood
Prof. Dr. Daniel Pleissner
Leuphana Universität Lüneburg und Institut für Lebensmittel- und Umweltforschung
Ein anderes Beispiel ist das Konzept der Waste-to-Resource-Unit, mit der aus organischen Reststoffen in Lebensmittelabfällen zukünftig neue Futtermittel sowie Lebensmittel erzeugt werden könnten. Dies soll mit der Hilfe eines mobilen, modular konstruierten und daher lokal anpassbaren und einsetzbaren Bioreaktors geschehen.

Durch das Konzept soll es möglich werden, Kreisläufe direkt dort zu schließen, wo Abfälle anfallen, beispielsweise bei Lebensmittelabfällen, die in großen Mengen in Städten anfallen. Das Konzept wurde von Daniel Pleissner gemeinsam mit Fraunhofer IME und der Universität Bonn u.a. erarbeitet. Die Idee wurde 2021 unter den Top 3 des Deutschen Nachhaltigkeitspreises im Bereich Forschung nominiert.
Lebensmitteabfälle haben heute keinen Wert mehr. Aber doch steckt Potenzial drin, wie Proteine, Kohlenhydrate, Fette und Lipide, die man für Prozesse nutzen kann, die eine höhere Wertschöpfung erlauben.
- Prof. Dr. Daniel Pleissner, Institut für Nachhaltige Chemie und Umweltschutz an der Leuphana Universität Lüneburg und wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Lebensmittel- und Umweltforschung in Bad Belzig
Cultured Meat
Gibt es zukünftig Fleisch aus dem Labor?
Dr. Nina Buffi
Managing Director der OSPIN GmbH
Mit In-vitro-Fleisch wollen Biotechnolog:innen dem weltweiten Bedarf nach immer mehr tierischem Protein befriedigen. Vorteil ist, dass „Kunstfleisch“ aus dem Bioreaktor nachhaltiger ist. Der Energieverbrauch ließe sich um bis zu 45 Prozent gegenüber der konventionellen Fleischherstellung zurückdrehen. Die Emissionen von Treibhausgasen, der Flächen- und der Wasserverbrauch könnten um über 95 Prozent reduziert werden. Die Klimabelastung von Ersatzfleisch ist etwa zehnfach geringer als die von Rindfleisch. Außerdem könnte die Massentierhaltung reduziert und Tierleid vermieden werden.

Die Erzeugung von Cultured Meat basiert auf Techniken der Zellvervielfältigung und Gewebezüchtung. Bisher kann nur Hackfleisch auf diese Weise hergestellt werden, Steaks oder Filetfleisch noch nicht. Im Gegensatz zu einem Steak oder Filet ist das In-vitro-Fleisch nämlich noch strukturlos. Um dreidimensionale Fleischstrukturen mit dichter Konsistenz herstellen zu können, werden Gerüste aus Kollagen oder Vielfachzuckern benötigt, an denen die Zellen wachsen können. Diese Gerüste sind Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.

Forschung und Markt entwickeln sich schnell. Ein Pionier ist die OSPIN GmbH aus Berlin. OSPIN bietet Technologien zur Herstellung von Cultured Meat vom Prozessdesign bis hin zur automatisierten Bioreaktorsystemen an.
Sie dazu das Bild „Bandbreite der Klimabelastung durch Nahrungsmittel“ unter: https://www.boell.de/de/2018/01/10/laborfleisch-biologen-zeigen-ihre-muskeln (Zugriff am 08.06.2021).
Cultured Meat ist heute ein besonderes Produkt, normales Fleisch der Mainstream. Vielleicht wird das (zukünftig) umgekehrt sein. Mainstream ist Cultured Meat und normales Fleisch was besonderes.
- Dr. Nina Buffi, Managing Director der OSPIN GmbH